5. November 2019: 6. Prozesstag

Mehrere Zeugen und Zeuginnen sollen heute vernommen werden. Die Befragungen gestalten sich nicht einfach: Zwei Zeugen des Geschehens auf der Schloßteichinsel verstricken sich in starke Widersprüche. Ein Polizeibeamter aus Chemnitz erscheint vollkommen unvorbereitet. Eine vierte Zeugin bleibt dem Verfahren gleich ganz fern.

Die Verhandlung startet mit der Aussage von Tom H. Gegen den Zeugen sind selbst Verfahren offen. Er wird vom Gericht mehrmals darauf hingewiesen, dass es sich nicht selbst belasten muss. Er möchte dennoch aussagen.
Tom H. wurde am 14. September 2019 am Schloßteich mit den heute Angeklagten zusammen aufgegriffen. Der Zeuge betont in seiner Aussage mehrfach, dass er sich schlecht erinnere und „nur wenig“ auf seine Umwelt achte. Entsprechend widersprüchlich gestaltet sich die Aussage.

Tom H. sagt anfangs aus, dass er alleine von der Demo gekommen sei. Er habe nur  zur Gedenkstätte gewollt. Bei der Demo und auf dem Weg dahin habe er niemanden gesehen und wollte eigentlich nur zum Edeka (Georgstr.), Bier holen und nach Hause. Dort sei er dann auf den Angeklagten Maximilian V. getroffen und zusammen wollten sie weiter zum Rewe (Limbacher Str.) und dort Bier trinken, weil dieser Supermarkt länger geöffnet habe und sie dort länger abhängen könnten. Anfangs behauptet Tom H., er kenne Maximilian V. nur flüchtig und habe länger keinen Kontakt gehabt. Durch Vorhalte aus Chat- und TKÜ-Protokollen wird dem Zeugen aber ein regelmäßiger Kontakt nachgewiesen.

Er sagt weiterhin aus, dass weitere Personen, drei bis vier männliche und eine weibliche, dabei gewesen seien. Er ist sich aber nicht sicher, ob jemand etwas gekauft habe. Zunächst sagt Tom H. aus, dass er diese weiteren Personen nur flüchtig gekannt habe. Im Verlauf der Befragung nennt aber noch Namen: Christian K., Martin H. und Sven We.

Zum Rewe habe die Gruppe über die Schloßteichinsel abkürzen wollen. Der Zeuge habe dort von einem Tumult mitbekommen und eine Flasche auf sich zufliegen gesehen. Nach Nachfrage ergänzte er, die Flasche sei in ca. 30 m Entfernung vor ihm aufgekommen. Er habe das als Gefahrensituation gewertet, sich umgedreht, sei geflohen und dabei Polizisten direkt in die Arme gelaufen. Bei der Festnahme sei ihm dann erst aufgefallen, dass doch mehr Leute „da gewesen“ seien. Er habe auch nicht gehört, dass etwas gerufen wurde. Er habe nichts gerufen, niemanden gesehen und sei nicht am Pavillion gewesen. Ob Maximilian V. Quartzhandschuhe getragen hat, habe er auch nicht gesehen, ebensowenig ob V. zwischenzeitlich mal weg war bzw. ob er etwas gemacht hat.

Daraufhin wird der Zeuge von der Staatsanwaltschaft darauf hingewiesen, dass er in der ersten Aussage am 15. September 2018 bei der Polizei etwas anderes ausgesagt habe. Er sagte, auf der Insel sei schon eine Gruppe gewesen, es seien immer mehr Leute gewesen. Die Leute hätten dann angefangen Flaschen zu zerschlagen und uns massiv bedroht. Bei der Polizei habe er die Angreifer als Ausländer beschrieben, er habe das durch Ihren Akzent wahrgenommen. Heute hingegen sagt der Zeuge Tom H., dass die Gruppe sei sehr gemischt und es außerdem dunkel gewesen sei. Er könne niemanden identifizieren. Er kenne auch niemanden wirklich von den Leuten, der mit ihm festgenommen wurde. Im Verlauf der Vernehmung erinnert er sich dann, dass er im Schatten eine vermutlich männliche Person gesehen habe, die eine Flasche zerbrochen hat.

Tom H. wird darauf hingewiesen, dass es ein Video gäbe, wo eine Gruppe in einem halbrunden Kreis im Park steht und sich unterhält. Durch seine Kleidung sei er identifiziert worden. Das Video widerspreche seiner bisherigen Aussage, er sei nur durch den Park gegangen und dann sofort geflohen. Wegen der zahlreichen Unstimmigkeiten in seiner Aussage liegt der Verdacht nahe, er begehe eine Falschaussage. Die könne mit einer Gefängnisstrafe geahndet werden.

Auf Nachfrage erklärt Tom H. er habe kein Hakenkreuz tätowiert. Von Fotos mit positivem NS-Bezug auf seinem Handy, behauptet Tom H. nichts mehr zu wissen. Sympathien zum Nationalsozialismus und zum III. Weg streitet er ab, trotz eines nicht unterschriebenen, aber ausgefüllten Mitgliedsantrag auf seinem Handy. Er interessiere sich nicht für „sowas“, weiß aber zugleich, dass der III. Weg die „Interessen des deutschen Volkes“ vertrete. Über politische Einstellungen habe er nie diskutiert. Zum Abschluß der Vernehmung stellt das Gericht fest, dass der Zeuge der Tatbeteiligung verdächtig ist.

Die nächste Zeugin, Yasmin L. erscheint unentschudligt nicht. Gegen sie wird ein Ordnungsgeld in Höhe von 100 Euro verhängt.

Dann folgt die Aussage des Kriminalbeamten Uwe K. von der Kriminalpolizei Chemnitz. Er ist der Beamte, der den Zeugen Tom H. als Beschuldigten vernommen hat. Der Beamte berichet, er sei an dem Tag nur in der Dienststelle gewesen und habe die Vernehmungen durchgeführt. An Details könne er sich nicht erinnern und am Schloßteich sei er nicht nicht dabei gewesen. Er verweist lediglich auf das Protokoll der Vernehmungen und betont mehrmals, dass er nichts mehr weiß und auch nichts gefunden hat. Der Richter kritisiert ihn stark dafür, dass er sich trotz 3-wöchiger Frist bis zur Aussage nicht richtig vorbereitet hat. Anschließend wird er entlassen.

Danach folgt die Aussage von Marie K. Sie sei am 14. September 2018 alleine mit dem Zug nach Chemnitz gefahren, um sich mit einer Freundin zu treffen. In der Dämmerung sei sie dann alleine zum Bahnhof zurück laufen, um wieder nach Hause zu fahren. Sie habe mitbekommen, dass die Demonstration von Pro Chemnitz stattgefunden hat, sei aber nicht dort gewesen. Auf dem Weg habe sie eine Freundin getroffen, an deren Namen sie sich nicht erinnern könne. Gemeinsam seien sie zu dem Edeka gelaufen. Marie K. sagt, sie habe sich etwas alkoholfreies zu trinken kaufen wollen. Am Edeka seien sie auf die Gruppe u.a. mit den Angeklagten getroffen, die bereits vor dem Supermarkt gestanden hätten. Sie konnte die Angeklagten auch im Gerichtssaal identifizieren. Über soziale Medien / Facebook habe sie Teile der Gruppe schon vorher ein bisschen gekannt. 

Die Gruppe habe ihr und ihrer Freundin dann ihre Sachen, Jacken und Rucksäcke, in die Hand gedrückt und gesagt, dass sie mal darauf aufpassen sollen. Die Gruppe sei dann in Richtung Schloßteich gelaufen, ohne das Ziel eindeutig zu benennen. Weil sich die zwei nicht sicher gewesen seien, was die Gruppe, in der bereits eine aufgeheizte Stimmung geherrscht habe, vorhat, seien sie langsam hinterhergelaufen. Aus Richtung Schloßteich hätten sie dann Geschrei gehört. Außerdem sei die Polizei schon da gewesen.

Ihre heutige Aussage weicht auch von ihrer ersten Aussage am Tattag ab. Dort habe sie ausgesagt, dass sie sich nur mit einer Freundin getroffen habe, sie dann gemeinsam gegen 22 Uhr zum Edeka gegangen seien und voneinander verabschiedet hätten. Dann habe Marie K.  sich auf dem Weg zum Hauptbahnhof gemacht hat, um den Zug zu erwischen. Auf dem Weg sei sie allerdings noch mal umgekehrt und zum Edeka zurück, wo sie auf eine Unbekannte getroffen sei. 
Die Zeugin wird außerdem mit dem Vorhalt konfrontiert, dass der Zeuge Tim S., den sie über soziale Medien kenne, in seiner Vernehmung gesagt habe, dass er sie und ihre Freundin regelmäßig vom Bahnhof abhole, um gemeinsam zu Pro Chemnitz-Demonstration zu gehen. Das sei auch am 14. September der Fall gewesen. 

Durch die Unstimmigkeiten in den Aussagen wird Strafvereitelung diskutiert. Der Zeugin wird ein Zeugenbeistand beigeordnet und die Befragung unterbrochen. Sie soll am 22. November 2019 um 13 Uhr weitergeführt werden.

Mehrere Verteidiger kritisieren, dass das Verfahren wegen der Beschaffung von Waffen von diesem Verfahren abgetrennt worden sei. Auf Nachfrage, stellt sich heraus, dass es bei den Ermittlungen noch keine Ergebnisse vorliegen. Dadurch könnte man Rückschlüsse auf die Gefährlichkeit einer Gruppe ziehen. Wenn es für die tatsächliche Beschaffung von Waffen keine Beweise gibt, wäre das ein positiver Strafbemessungsgrund.

Die Verteidigungen beantragen vollständige Akteneinsichten und eine Aussetzung der Hauptverhandlung, aufgrund der Leseschwächen von Sven We. und Sten E. Der Senat verweist darauf, dass die Akten im LKA zugänglich seien.