24. März 2020: 34. Verhandlungstag – Part I

Zu Beginn des heutigen Prozesstages stehen die letzten drei Plädoyers an. Sie bieten kaum neue Erkenntnisse. Überraschen mag höchstens der Einfall eines Rechtsanwalts, der im Falle einer Verurteilung seines Mandanten einen Beweisantrag ankündigt. Das dürfte dann aber zu spät sein. Drei der Angeklagten machen zudem von der Möglichkeit Gebrauch, letzte Worte vor Gericht zu äußern. Auf ein einziges Wort der Entschuldigung wartet man aber Vergebens.

Zu Beginn stellt der Vorsitzende Richter Schlüter-Staats klar, dass er die Verteidigung entgegen eines Presseberichtes nicht aufgefordert habe, sich kurz zu fassen. Er habe lediglich gesagt, dass er sich kurz fassen wolle.

Er übergibt das Wort an die Verteidigung des Angeklagten Marcel Wa.. Der Anwalt echauffiert sich darüber, dass trotz Corona-Pandemie verhandelt wird. Mit Blick auf das „von Anfang an fehlende Interesse der Öffentlichkeit an dem Verfahren“, wird kritisiert, dass der Senat das Verfahren trotz des hohen Risikos „mit aller Gewalt“ zum Abschluss bringen wolle. „Menschlicher Größe“ wäre gewesen, die Haft der Terrorverdächtigen über die Dauer der Pandemie auszusetzen. Nach dieser Einleitung beginnt das eigentliche Plädoyer. Die Verteidigung Marcel Wa. zweifelt die Verfassungsmäßigkeit des § 129a StGB an. Denn durch diesen Artikel dürfen Menschen verfolgt werden, die noch keine Straftaten begangen hätten. Darüberhinaus habe sich ihr Mandant auch im Sinne des § 129a StGB „nicht schuldig gemacht.“ Es bestehe seitens der Genaralbundesanwaltschaft (GBA) die „subjektive Annahme, dass alle Chatteilnehmer Kenntnis vom Eingangstext des Christian K. gehabt hätten.“ Das zieht die Verteidigung für Marcel Wa. aber in in Zweifel. So habe selbst der Sachverständige des Landeskriminalamtes Sachsen nicht nachweisen können, dass besagte Nachricht von Christian K., der zu besagter Zeit bei Marcel Wa. wohnte, bei Marcel Wa. auf dem Telefon angezeigt worden sei. Die Verteidigung erklärt, der Satz ihres Mandanten: „So, damit bestätige ich auch.“, eben keine Bestätigung der „Präambel“ gewesen sei, in welcher zum „Umsturz“ aufgerufen wird. Vielmehr habe Marcel Wa. damit lediglich der Chatteilnahme zugestimmt. Im Hinblick auf den „Probelauf“ auf der Schlossteichinsel versucht die Verteidigung das Gefahrenpotential herunterzuspielen. In der Folge unterstellt Rechtsanwältin Golbs den Betroffenen des Angriffs, agressives Verhalten der Betroffenen.

Die Verteidigung kritisiert den Umstand, dass Marcel Wa. in Untersuchungshaft sitzt. Aufgrund seiner familiären und beruflichen Verhältnisse wäre er der Hauptverhandlung nicht ferngeblieben. Letztlich erklärt die Verteidigung, dass sich eine Verurteilung nach §129a negativ auf die Strafprozessordnung auswirken werde, da keine konkreten Tatbeteiligungen, abgesehen vom Einkreisen beim „Probelauf“, nachgewiesen worden sei. Die Verteidigung von Marcel Wa. erklärt, ihr Mandant habe sich des einfachen Landfriedensbruches schuldig gemacht. Dafür sei eine Freiheitsstrafe von nicht mehr als einem Jahr zu verhängen. Sollte der Senat dem nicht nachkommen, so solle zumindest die Haft wegen der familiären und sozialen Bedingungen ausgesetzt werden: „Es besteht keine Fluchtanreiz.“

Die Verteidigung Maximilian V. beginnt ihr Plädoyers mit einem Seitenhieb in Richtung des Vorsitzenden Schlüter-Staats. Mann werde sich „wie gefordert“ kurz fassen. Daraufhin wirft sie dem Senat vor, dass dieser nichts unternommen habe, um zu klären, was „Revolution Chemnitz“ und Christian K. vor 2018 getan hätten. „Wie will ich gründen, was es vorher schon gab?“, wird gefragt. Erneut wird erwähnt, dass der Einführungstext im Chat nicht dem sonstigen Duktus von Christian K. entspräche. Auffälig sei, dass ausgerechnet dieser Text „den kompletten Katalog des §129a abarbeite.“ Die Verteidigung stellt ein „staatliches Mitwirken“ in den Raum, kann aber keine konkreten Anhaltspunkte oder Belege benennen. Ihr Mandat, so die Verteidigung weiter, habe ein „konservativ bürgerliches Leben“ geführt. Die Teilnahme an dem Chat sei letztlich dem „Suff“ zuzuschreiben. Auch ließen seine Lebensbedingungen und -ziele darauf schließen, dass Maximilian V. kein Interesse habe „als Terrorist zu leben.“In ihrer rechtlichen Würdigung schätzt die Verteidigung Maximilian V. ein, dass es „nur vage Planungen, keine feste Organisationsstruktur und keine identitätsstiftende Momente gab“. Auf eine Organisation nach § 129a könne deswegen nicht geschlossen werden. Auch habe Maximilian V. sowohl vor dem „Probelauf“, als auch vor dem 03. Oktober 2018 „Ausreden gefunden“, um nicht teilzunehmen. So komme für die Verteidigung nur ein Freispruch vom Vorwurf der Gründung einer terroristischen Vereinigung in Frage. Ein bloßes: „Bin dabei.“, zeuge lediglich von  geringer Schuld und sei „von untergeordneter Bedeutung“. Die Verteidigung hält eine Freiheitsstrafe von neun Monaten und die sofortige Haftentlassung für angemessen.

Zum Schluss plädiert die Verteidigung Christopher Wei., auch diese eröffnet mit dem Verweis, dass für ein Verfahren nach § 129a „zu wenig geschehen sei.“ Auch wenn man „kein Plädoyer für den Goldenen Aluhut halten will“, wird auf die mögliche politische Motivation des Verfahrens und der Rolle des Verfassungsschutzes angespielt. Weiter wird auf tatsächliche politische Dimension und die andauernde verfassungsrechtliche Diskussion des so genannten „Gummiparagraphens“ § 129a hingewiesen. Mit diesem Paragraphen könne ein Verfahren eingeleitet werden, „nur wenn einem die Gesinnung nicht passt.“

Es folgt der Vorwurf, dass der Prozess „nichts greifbares“ zu Tage gefördert habe, hingegen sei aber „der Kampf gegen Links- und islamistischen Extremismus  aus dem Blickfeld geraten.“ Die Verteidigung versucht die Ziele der Angeklagten zu bagatellisieren. Von „unrealistischem Quatsch“ und „dummen Jungs“ ist die Rede. Gegen Terrorismus spräche, dass es „keine Verletzten, Toten oder Banküberfälle gegeben“ habe. Zudem habe sich ihr Mandant Christopher Wei. nicht aktiv beteiligt. Ja, den Chat habe er trotz des „dummen Gequatsche“ nicht verlassen, weil er „interessiert war, wie es sich weiter entwickeln würde.“

Obwohl er in einer Aussage gegenüber der Polizei erklärt hat, dass er wisse, dass das eskaliert, spielt die Verteidigung den forcierten Waffenerwerb durch Christopher Wei. herunter. „Er wollte lediglich in der Schrauberhalle rumballern.“, so die Erklärung. Dies, und die Tatsache, dass Christopher Wei. nicht vorbestraft sei, lasse nur einen Schluss zu: Freispruch.

Zur rechtlichen Würdigung äußerte Rechtsanwalt Schuster Verständnis für die Vorgänge in Chemnitz 2018: „Der normale Bürger hat Angst.“ Auch moniert er, dass hierzulande Menschen befürchten müssen als rechts zu gelten und negative Konsequenzen zu fürchten, „nur weil man an der Beerdigung eines vermeintlichen Rechtsextremisten“ teilnehme. Der Verteidiger weiß, dass die damalige Zeit „spannend und euphorisierend“ für die Angeklagten gewesen sei. Die Teilnahme im Chat „ Vorbereitung zur Revolution“ sei nicht problematisch. Auch nicht die Tatsache, dass sein Mandant sich wegen des Erwerbs einer „Knarre“ in einen Einzelchat mit Christian K. begeben habe. Interessant auch ein weiterer Vorschlag: Sollte sein Mandant verurteilt werden, wolle der Verteidiger einen Beweisantrag stellen. Der Bürgermeister von Altmittweida solle bezeugen, dass zum Zeitpunkt des „Probelaufes“ das Altmittweidaer Erntedankfest stattgefunden habe, bei dem Christopher Wei. anwesend gewesen sein soll.
Sein Mandant sei trotz seiner Vita ein „normalen deutschen Spießbürger“.Das Vorgehen der Angeklagten bezeichnet er als „unprofessionell“. Gerade weil die rechte Szene im Internet genügend Handreichungen“anbiete. Verwunderlich sei auch, dass die Beschuldigten Kontakt zu Hooligans aus Rostock, Dresden und Polen angegeben hätten, aber nicht zu lokalen Hooligans. Dabei fänden sich dort einige„ der besten Hools Deutschlands.“ Zum Schluss fordert die Verteidigung des Christopher Wei. einen Freispruch oder Bewährung, eine Entschädigung für die Untersuchungshaft und eine Aufhebung des Haftbefehls.

Abschließend bekommen die Angeklagten das Wort. Sten E. und Martin H. lehnen ab. Maximilian V. beklagt sich selbstmitleidig über seine Haftbedingung und gibt an, seine „große Hilfsbereitschaft“ auch nach der Haft weiter zu verfolgen und „Menschen helfen zu wollen“. Auch Marcel Wa. und Sven We. machen keinen Gebrauch von ihrem letzten Wort. Tom Wo. hingegen sagt, dass er „niemanden töten wollte“ und „nicht Teil eines  129‘er war“. Der als Rädeslführer angeklagte Christian K. bitte um Bewährungsstrafen für all seine Mitangeklagten und um eine Aussetzung seiner Haftstrafe, damit er „in diesen Zeiten“ bei meiner Familie sein kann.

Danach zieht sich der Senat zurück, um über die Urteile zu beraten.