17. März 2020: 33. Verhandlungstag

Heute beginnen die Plädoyers der Verteidigung. Während die Verteidigung von Christian K. um eine angemessene Strafe bittet, fordern andere Verteidigungen Freisprüche für ihre Mandaten, so etwa für Sven We. und Tom Wo. Insgesamt fünf Verteidigungsplädoyers werden heute gehört.

Heute plädieren die Verteidiger*innen. Die Verteidigung Christian K. beginnt. Sie betont, dies sei der schönste Augenblick während des Prozesses für ihn, weil er nicht durch den Vorsitzenden unterbrochen werden könne. Der Rechtsanwalt bittet den Vorsitzenden bei Beweisaufnahmen zukünftig nicht mehr zu kommentieren oder zu bewerten. Er verurteilt Terrorismus und stellt klar, dass es schwierig ist dies zu verteidigen. Das Verfahren sei für ihn ein Pilotverfahren für Prozesse, bei denen eine Bewertung ausgehend von Chatgruppen erfolge. Keiner der Angeklagten habe sich selbst als Terroristen gesehen und bei der Anklage gehe es nur um die Vermutung einer Gefahr. Der Rechtsanwalt zweifelt an der Ernsthaftigkeit der Äußerung in der Chatgruppe. Es gäbe keine Hinweise darauf, dass es Versuche gab Waffen zu organisieren. Christian K. habe auch kein erhöhtes Mobilisierungspotential, in dem Chat habe es hingegen viel Wichtigtuerei gegeben. Der Anwalt bittet das Gericht, um eine angemessene Strafe und sagt, dass der Antrag der Bundesanwaltschaft zu hoch sei, da das umgerechnet 1,3 Jahre Gefängnis pro Tag in dem Chat bedeuten würde.

Die Verteidigung von Sten E. findet den Antrag der Bundesanwälte, die für 4 Jahre und 3 Monate plädiert haben, zu hoch. Die Vorstrafen, die Sten E. zur Last gelegt wurden, seien nicht einschlägig bzw. nicht erheblich für das Verfahren. Sten E. habe grundsätzlich ein gesichertes Leben geführt, aber zudem eine erhebliche Lernbehinderung.
Sten E. habe eine Frau und zwei Kinder, von denen eines im Alter von anderthalb Jahren an Krebs verstarb. Die Beziehung habe diesen Einschnitt nicht überstanden und Sten E. habe deswegen auch psychologische Betreuung gebraucht. Er neige dazu sich Bezugspersonen zu suchen und lasse sich gern leiten. Seine Defizite seien in den Befragungen deutlich geworden. Er zeige eine Affinität zu Gewalt und ist in Fußball-Hooligankreisen unterwegs. Von Waffen halte er aber nichts.

Seine Beziehung zu Christian K. sei nur oberflächlich, er schaue zu ihm auf und bewundere ihn. RA Albrecht macht deutlich, dass Christian K. Sten E. wegen seines Hangs zu Gewalt instrumentalisiert habe. Zu seinen Gunsten sei auch zu werten, dass er als erster und einziger eine umfangreiche Aussage gemacht hat. Das Strafmaß müsse deutlich nach unten gesetzt werden. Sten E. habe die Ziele der Vereinigung nur unwesentlich unterstützt. Falls es zu einer Verurteilung wegen §129a komme, fordere RA Albrecht eine Strafe von einem Jahr und sechs Monaten, eine Gesamtstrafe von drei Jahren sollte nicht überschritten werden.

Der zweite Verteidiger erklärt, er wolle nichts relativieren, stelle aber fest, dass die Anklage deutlich von den Fakten abweicht. Er betont, dass „echte Revolutionäre“ persönlich oder über Prepaid-Handys kommuniziert hätten. Sie hätten auch nicht einfach aufgegeben, wenn ihnen die Handys entzogen worden wären. Eine terroristische Vereinigung sehe er nicht. Der Probelauf sei nicht koordiniert, sondern chaotisch gewesen. Sten E. hätte keine Morde in Kauf genommen. Ihn treffe nur eine geringe Schuld, da er ein typischer Mitläufer sei. Er fordere einen Freispruch für den §129a und eine Strafe von maximal zwei Jahren für den Landfriedensbruch. Alleine für seine Gesinnung dürfe er nicht bestraft werden.

Die Verteidigung von Martin H. kritisiert anfangs die Dimension, die dieser Fall angenommen hat. Rechtsanwalt Endler habe den Eindruck, dass das Versagen der Behörden im Fall des NSU wiedergutgemacht werden soll. Dafür wurde der Fall hier größer gemacht, als er eigentlich ist, um zu zeigen, dass alles richtig gemacht wird. Für den Anwalt seien die Angeklagten kein terroristischer Zusammenschluss, er bezeichnet sie als „des Führers letztes Aufgebot“, „ein loser Haufen, gescheiterter Existenzen, denen Deutschland nichts mehr zu geben hat.“ Weiterhin kritisiert er die Wirkung, die das Verfahren auf die Angeklagten habe. Es müsse immer um Resozialisierung und Reintegration gehen und Strafverfahren dürfen Märtyrertum nicht fördern. Es habe polizeiliche Befragungen ohne Anwesenheit von Verteidigern gegeben. Teilweise habe es „Tricksereien“ der Polizisten gegeben, um an bestimmte Informationen, wie beispielsweise PIN – Nummern, zu gelangen.

Sein Mandat sei in dem Chat beteiligt gewesen, aber mit Planungsaufgaben habe er nichts zu tun. Am Schloßteich sei er ebenfalls anwesend gewesen. Auch RA Endler betont, dass man sich angesichts der Vorwürde nicht verteidigen könne und bezeichnet den §129a, „falls er verfassungsgemäß ist“, als „Gedankenstrafbarkeit“.

Sein Mandat sei noch ein Heranwachsender, der ungefestigt und noch prägbar ist. Trotz seines gefestigten Lebens mit Familie und Arbeit, orientiere er sich stark an seinem älteren Bruder. Der Rechtsanwalt beantragt deswegen eine Jugendstrafe von nicht mehr als zwei Jahren und betont, dass es für das Gericht schwierig sei revisionssicher zu begründen, warum ein Rädelsführer fünf Jahre und sechs Monate bekommen soll und ein Mitläufer nur ein Jahr weniger.

Die Verteidigung von Sven We. kritisiert, dass die Bundesanwaltschaft beim Schloßteichüberfall von einer aktiven Teilnahme von Sven We. ausgehe, obwohl ihn elf Zeugen und der Angeklagte Sten E. in ihren Aussagen weder bei der Polizei noch vor Gericht wiedererkannt hätten. Der Vorsitzende und auch Bundesanwalt Lohse hätten im Verlauf des Verfahrens festgestellt, dass Sven We. erst später dazugekommen sei, weil er als Demonstrations-Ordner noch zu tun hatte. Sven We. habe nie die Absicht gehabt, Straftaten zu begehen und zu unterstützen. Er wollte nur eine gemeinsame Anreise zu den Demonstrationen organisieren. Die Gutachterin habe eine eindeutige Lese- und Rechtschreibschwäche bestätigt, weshalb er nicht imstande gewesen sei, immer alles in den Chatgruppen inhaltlich zu erfassen. Er fordert einen Freispruch für seinen Mandanten.

Die Verteidigung von Tom Wo. zeigt sich entsetzt, ob der Tatsache, dass ihr Mandant für drei Chatnachrichten härter als der Rädelsführer bestraft werden soll. Damit wolle man nur die augenscheinlich milde Strafe für „Sturm 34“ wiedergutmachen. Das sei aber nicht angemessen. Die Verteidigung betont, dass es ein Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip ist, die Mitgliedschaft zu bestrafen. Tom Wo. sei als letztes dem Chat hinzugefügt worden, als die Gruppe bereits gegründet war, und er habe sich durch nur drei Nachrichten daran beteiligt. Ihm konnten nicht nachgewiesen werden, dass er tatsächlich versucht habe, Waffen zu organisieren. Weiterhin habe er im Tatzeitraum gearbeitet. Seine erste Nachricht, in der er gefragt habe, wie offen man hier sprechen könne, zeige, dass er den Einführungstext, der die Sicherheit von Telegram bestätigt, nur oberflächlich gelesen hat.Die Verteidigung beantragt einen Freispruch für ihren Mandanten.