Prozessauftakt: Im Verhandlungssaal des Oberlandesgericht Dresden an der Stauffenbergallee beginnt der Prozess gegen die sogenannte Gruppe „Revolution Chemnitz“. Den acht Angeklagten wird die Bildung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Außerdem wird fünf Angeklagten schwerer Landfriedensbruch vorgeworfen: Sie sollen im Nachgang einer „Pro Chemnitz“-Demonstration mehrere Personen mit rassistischem Motiv attackiert haben.
Heute, am 30. September 2019 beginnt vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden der Prozess gegen die selbsternannte „Revolution Chemnitz“. Den acht Angeklagten wird die Gründung einer „rechtsterroristischen Vereinigung“ vorgeworfen. Eine terroristische Vereinigung kann auch ohne direkte Tatnachweise juristisch verfolgt werden, es genügt so eine Vereinigung zu planen oder entsprechende Handlungen vorzubereiten. Im Gegensatz zum ersten Verhandlungstag gegen die „Gruppe Freital“, im März 2017, ist der Besucher*innenandrang sehr überschaubar. Neben den zahlreichen Vertreter*innen der regionalen und überregionalen Presse haben sich nur wenige Interessierte und Angehörige zum Prozessauftakt eingefunden. Kurz nach 10 Uhr eröffnete der Vorsitzende Richter Hans Schlüter-Staats den ersten Prozesstag.
Noch vor dem Verlesen der Anklageschrift durch die Generalbundesanwaltschaft, beantragt der Verteidiger von Martin H., Rechtsanwalt Maximilian Endler, den Prozess sowie die Urteilsverkündung unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden zu lassen. Er begründet dies mit dem Alter seines Klienten zur Tatzeit. Im September 2018 hatte der Angeklagte Martin H. sein 21. Lebensjahr noch nicht vollendet und würde damit den Schutz eines Heranwachsenden nach Jugendstrafrecht genießen. Er wolle seinem Mandanten „Nachteile für die persönliche und soziale Entwicklung ersparen“, so der Verteidiger. Während der Senat über den Antrag berät, wurde die Öffentlichkeit des Saales verwiesen. Nach einiger Zeit dürfen Presse und Besucher*innen den Saal wieder betreten und Richter Schlüter-Staats verkündet die Entscheidung: Der Antrag wird aufgrund des großen öffentlichen Interesses und der Wichtigkeit der Transparenz juristischer Entscheidungen abgelehnt. Allerdings stellt der Richter fest, dass der Angeklagte H. juristisch dagegen vorgehen könne, wenn seine Anonymität nicht gewahrt wird.
Anschließend lässt sich das Gericht die Anwesenheit der Angeklagten und die Richtigkeit ihrer persönlichen Daten bestätigen. Daraufhin erklärt die Generalbundesanwaltschaft, dass es keine Gespräche zur Verständigung im Vorfeld des Prozesses gab und beginnt die Anklageschrift zu verlesen. Den acht Angeklagten wird vorgeworfen im September 2018 eine terroristische Vereinigung gegründet zu haben, mit dem Ziel einen „Systemwechsel“ herbeiführen zu wollen. Die Gruppe wollte „den antideutschen Machenschaften ein Ende setzen“, erläuterte die Bundesanwaltschaft. Sie habe tödliche Anschläge und Morde geplant, die dann dem politischen Gegner in die Schuhe geschoben werden sollten, um die gesellschaftliche Stimmung anzuheizen und die „Zukunft zu übernehmen“. Hierfür nahm man auch einen Bürgerkrieg in Kauf, für den man sich Angebote für halbautomatischen Waffen einholte. Dabei taten sich die Angeklagten Christian K. und Tom W. hervor. Der als Rädelsführer angeklagte, Christian K. (32), gründete laut Anklage am 10. September 2018 den Telegram-Chat „Planung zur Revolution“, über den sich die Gruppe organisiert habe und ihr weiteres Vorgehen besprechen wollte. Mit ihm angeklagt sind des weiteren Sten E. (29), Martin H. (21), Maximilian V. (29), Marcel W. (31) und Sven W. (28), Hardy W. (29) und Tom W. (31). Für den als „Probelauf“ bezeichneten Angriff auf der Chemnitzer Schloßteichinsel müssen sich Christian K., Sten E., Martin H., Marcel W. und Sven W. zudem wegen schwerem Landfriedensbruch verantworten. Ihnen wird vorgeworfen, mit anderen am 14. September 2018 als „Bürgerwehr“ die Schloßteichinsel in Chemnitz bestreift und diverse Menschen genötigt und physisch angegriffen zu haben.
Nach dem Verlesen der Anklageschrift lassen alle Angeklagten zu Protokoll geben, dass sie sich nicht zu den Vorwürfen äußern werden. Die Verteidiger der Angeklagten Christian K. und Tom W. tragen jeweils eine Erklärung vor.
Die Verteidigung des Angeklagten Christian K. behauptet, dass das Verfahren im Allgemeinen, und gegen Christian K. als Rädelsführer im Speziellen, nur auf öffentlichen Druck hin eingeleitet wurde. Durch die Verteidigung wird suggeriert, dass der Prozess lediglich der Stimmung nach den Ereignissen in Chemnitz geschuldet sei. Dem Angeklagten K. drohten „sechs Jahre [Haft] für 96 Stunden Telegram“ , obwohl es sich doch „nur“ um einen „virtuellen Stammtisch“ gehandelt habe. Und an einem Stammtisch würden ja schließlich viele Dinge daher gesagt. Bemerkenswert: Als während der Erklärung Starkregen einsetzt, der zu einer akustischen Störung führt, kommentiert ein Verteidiger mit den Worten: „Der Senat hat Wind gesät und erntet jetzt Sturm.“
Die Verteidigung des Angeklagten Tom W. erhebt anknüpfend den Vorwurf, dass der Prozess in Gänze ein politischer sei und gegen die Angeklagten „einseitig“ und aus „Gesinungsgründen“ prozessiert werde. Es wird behauptet, dass in Deutschland „das Recht der Politik folge“ und die „Generalbundesanwaltschaft dem Staat und nicht der Wahrheit verpflichtet sei“. Der Prozess habe „den Glauben an den Rechtsstaat beschädigt und diene lediglich der politischen Profilierung der Generalbundesanwaltschaft“. Das Beispiel Hans-Georg Maaßen würde belegen, was passiere, wenn „Amtsträger nicht opportun“, sondern „kritisch“ seien. Weiter beschwert sich die Verteidigung ausführlich über die angeblich inhumanen Haftbedingungen ihres Mandanten Tom W. Sie stellen fest, dass die „universellen Menschenrechte auch für ihn gelten“. Die Erklärung endet mit den Einlassungen, dass die Urteilsbegründung schon jetzt „ad absurdum geführt“ sei, da „die Untersuchungshaft schon Strafe genug“ wäre. Folter sei auch hierzulande noch möglich, erklärt ein Verteidiger. Richter Schlüter-Staats und die Generalbundesstaatsanwaltschaft weisen alle Vorwürfe zurück.
Nach einer Verhandlungspause will Richter Schlüter-Staats mit der Beweismittelverlesung beginnen, was bei den Rechtsanwälten Ender und Börger auf Widerspruch trifft, da diese unzulässige, bewertenden Kommentare der ermittelnden Beamten enthalten würden. Nach einigem Hin und Her wird die betreffende Passage nicht mit verlesen. Dann monieren mehrere Rechtsanwält*innen, dass die Beweismittelliste zum einen zu lang sei und man sich zum anderen nicht hätte darauf vorbereiten können. RA Börger fordert 25 – 30 Minuten Pause, um betreffende Listen sichten zu können. Nach erneutem Hin und Her geht der Senat in eine halbstündige Pause.
Richter Schlüter-Staats beginnt mit der Beweismittelverlesung. Es wird erwähnt, dass die Auswertung der Telefone der Angeklagten Sven W. und Marcel W. als wichtige Quelle für den Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung diente. Danach folgt der Gründungseintrag der Telegramchatgruppe. In dieser Gruppe stehen Handlungsanweisungen und Sicherheitshinweise. Der als Rädelsführer angeklagte Christian K. weißt gleich zu Beginn darauf hin, dass es sich um eine Gruppe von „Führungskräften“ handele und bittet darum „dieses hier zu bestätigen oder abzulehnen und die Gruppe zu verlassen bevor wir anfangen“. Im Chat wird positiv erwähnt, dass die Mitglieder der Gruppe bewusst gewählt worden seien, denn „jeder von uns ist lange genug in einer Szene dabei (Hooligan, Skinhead, Neonazi, Band Mitglied oder Terroristischen Vereinigung usw.) und hat (…) spezielle Fähigkeiten ausbauen können“.
In weiteren Chats wird darüber gesprochen wie man an Waffen kommt, was diese kosten würden und ob man eine „Sammelbestellung wie bei T-Shirts“ machen soll? Tom W., welcher schon als Rädelsführer der Neonazikameradschaft „Sturm 34“ verurteilt wurde, bot seine Hilfe beim „Rote boxen“ und Waffen beschaffen an.