3. März 2020: 30. Verhandlungstag

Ein Sachverständigengutachten eines Linguistikprofessors soll Aufschluss über die Bedeutung des Wortes „Knifte“ geben. Außerdem berichtet die Jugendgerichtshilfe über den jüngsten Angeklagten Martin H. und empfiehlt letztlich die Anwendung von Jugendstrafrecht und eine Bewährungsstrafe. Außerdem werden diverse Anträge gestellt.

Das Gericht sieht keinen Anlass das Verfahren nach Artikel 100 Grundgesetz auszusetzen. Das hatten einige Verteidigungen am 25. Februar 2020 gefordert, weil sie den §129a StGB als verfassungswidrig einstufen. Auch Bundesanwalt Loose nimmt Stellung. Er sagt, dass eine Verfahrensaussetzung aufgrund dieses Paragrafen viele Hürden habe. Die Verfassungswidrigkeit müsse überzeugend dargestellt werden und das Gericht müsse davon überzeugt sein. Es habe bis jetzt aber keine ernsthaften Diskurs darüber gegeben, dass §129a verfassungswidrig ist. Seit einer Gesetzesänderung von 2017 würden beispielsweise auch hierarchische Strukturen berücksichtigt. 

Die Verteidigung Sven We. stellt einen Befangenheitsantrag gegen den Stellvertretenden Vorsitzenden Richter Magnussen und den Vorsitzenden. Magnussen habe einer Gutachterin nicht alle Unterlagen über Sven We. zukommen lassen und einem mündlichen Gutachten zugestimmt, obwohl ausreichend Zeit für ein detailliertes, schriftliches gewesen wäre. Der Vorsitzende habe darüber Bescheid gewusst. Der Verteidiger kritisiert, dass die nun zu wenig Zeit geblieben sei, sich mit dem Gutachten auseinanderzusetzen, sodass Sven We. auch hätte Stellung nehmen können. Der Vorsitzende weist ihn darauf hin, dass der Antrag verspätet eingereicht wurde und damit unzulässig sei. Die Verteidigung Sven We. stellt einen Antrag auf Aussetzung des Verfahrens für einen Monat, um ein ausführliches Gutachten erstellen zu lassen.  Das Gericht entscheidet, dass die Anträge in Ruhe geprüft werden und die Gutachterin vorerst für den 10. März 2020 geladen werde. Der Antrag auf Aussetzung werde nach den Anträgen auf Befangenheit geprüft.

Dann wird der Sachverständige Siegmar, Professor für Linguistik und Germanistik an der Universität Leipzig gehört. Er wurde um ein Gutachten über das Wort „Knifte“ gebeten. Der Professor sagt, dass es mehrere Bedeutungsvarianten gäbe und es immer auch auf den Kontext ankomme. Im west-mitteldeutschen Raum bedeute es Butterbrot oder Stulle. Im ost-mitteldeutschen Raum werde es für ein stumpfes Messer bzw. Messer als Waffe gebraucht. In Jagd-, Spiele- oder Waffenforen stehe das Wort Knifte hingegen häufig für ein Gewehr.

Aus der Synthax lasse sich nicht erschließen, was gemeint war. Häufig wird das Femininum für die Waffe verwendet und Maskulinum, sowie Neutrum für das Messer. Der Professor erklärt außerdem, er habe vor seinem Gutachten nicht gewußt, in welchem Zusammenhang er die Bedeutung dieses Wortes erforschen sollte. 

Im Anschluss folgt die Aussage der Jugendgerichtshelferin Frau J., die inbesondere über die Straffähigkeit von Martin H. berichten soll. Der Angeklagte war zum Tatzeitpunkt erst 20 Jahre alt, gilt deswegen als Heranwachsender, der unter Umständ nach Jugendstrafrecht verurteilt werden kann.

Die Jugendgerichtshilfe erklärt, sie habe mehrere Gespräche mit Martin H. und seiner Mutter geführt. Er sei das dritte Kind und habe ein gutes Verhältnis zu seinem Vater, der als Lagerist beschäftigt ist, und seiner Mutter, die als Reinigungskraft tätig sei. Sein großer Bruder wohne neben seinen Eltern und seine Schwester habe bereits eine eigene Familie in Chemnitz. Sie hätten alle ein gutes Verhältnis. Martin H. habe einen Abschluss von einer Lernförderschule in Flöha. Eine Ausbildung zum Maler und Lackierer habe er vorzeitig und ohne Abschluss wegen eines Herzfehlers beenden müssen. Seitdem war er bei unterschiedlichen Zeitarbeitsfirmen beschäftigt und will nach seiner Haftzeit weiterhin bei solchen arbeiten. In der Jugendstrafanstalt arbeitet er nach einem erfolgreichen Arbeitsantrag seit November 2019 als Maler. Er ist nach wie vor bei seinen Eltern gemeldet, habe aber viel Zeit bei seiner Freundin, mittlerweile Verlobten verbracht, mit der er seit März 2018 zusammen ist. Sie habe bereits zwei Kinder, um die er sich auch kümmere.

Martin H. sei bereits mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten, unter anderem wegen Körperverletzung und des Tragens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Jugendgerichtshilfe schätzt ein, dass ihm der Übergang in das Erwachsenenleben schwer gefallen sei. Er jobbe und hat es nicht geschafft einen Abschluss zu erreichen. Wesentliche Reifefortschritte seien in näherer Zukunft nicht zu erwarten. Trotzdem habe er eine feste Beziehung und nimmt seine Rolle als Stiefvater sehr ernst.  Seit seinem 12. bzw. 13. Lebensjahr sei er politisch interessiert und habe eine gefestigte Meinung. Diese Punkte sprechen eigentlich für den Einsatz des allgemeinen Strafrechts, so die J. weiter.

Sie sagt aber auch, dass Martin H. sehr stark der Gruppendynamik unterliege. Die Vorbildwirkung seines großen Bruders und seine mangelnde Intelligenz förderten, dass er sich hinreißen lasse. Er könne nicht die volle Tragweite seines Handels einschätzen. Daher schlägt die Jugendgerichtshilfe die Anwendung des Jugendstrafrechts vor. Da er aber schon viele Straftaten begangen habe, tendiert sie zu einer Jugendstrafe, die auf Bewährung ausgesetzt wird, da ihn die Zeit in der Untersuchungshaft auch schwer beeindruckt habe. Da er häufig unter Alkoholeinfluss straffällig geworden ist, solle er einen Entzug machen. Die Jugengerichtshilfe schlägt weiterhin einen Anti-Aggressionskurs vor.

Im Anschluss an diese Einschätzung stellt die Verteidigung Maximilian V. mehrere Anträge. Beantragt wird ein Gutachten eines Stimmsachverständigen, um klarzustellen, dass in einer Sprachnachricht die Abweichungen zu Maximilian V. so stark sind, dass er diese nicht eingesprochen haben könne. Woraufhin der Vorsitzende Richter erwidert, dass bereits beim Abspielen der Nachricht festgestellt worden sei, dass Maximilian V. höchstwahrscheinlich nicht der Sprecher war. Beantragt wird außerdem, dass dokumentiert wird, dass bisherige Haftstrafen mittlerweile abgesessen sind und nicht mit verlesen werden. Laut Gericht habe das aber keine Bedeutung für das jetzige Verfahren. Dann folgt noch ein  Antrag für ein linguistischer Gutachten. Dieses soll prüfen, ob das Schreiben an das Landesamt für Verfassungsschutz und der Einführungstext in der Chatgruppe ‚Planung zur Revolution‘ beide von Christian K. stammen können. Es gäbe im Schreibstil viele Abweichungen zu Chatnachrichten, die er sonst verfasst habe. Das Gericht stellt fest, dass es schwierig sei Briefe und private Chatnachrichten zu vergleichen.