16. Januar 2020: 24. Verhandlungstag

Heute ist ein Sachverständiger für Farsi geladen. Er übersetzt Aussagen der Betroffenen des Schlossteichüberfalls aus zwei Handyvideos und belegt, dass einer der Betroffenen schon damals eine (Schreckschuss-)Pistole bei den Angreifenden wahrgenommen hat. Drei Polizeibeamte berichten außerdem über mehrere Vernehmungen, darunter die von Tim Sch., der letztlich eingeräumt hat, dass er mit der Gruppe der Angreifenden auf der Schlossteichinsel war.

Der 24. Verhandlungstag beginnt mit der Vernehmung von M., er ist Übersetzer für Farsi (persische Sprache) und heute als Sachverständiger geladen. Das Gericht zeigt ihm die Handyvideos, die am 14. September 2018 auf der Schlossteichinsel aufgenommen wurden. M. soll die persischen Äußerungen übersetzen. Im ersten Video ist gleich zu Beginn und auf deutsch zu hören: „Bullen, los zurück!“ Dann sei laut M. zu hören: „Me., komm zurück! Komm zurück, die schießen!“ Und weiter: „Sie haben eine Druckpistole.“ [gemeinst ist wohl eine Schreckschusspistole, Anm. d. Red.] sowie „Me., hör auf sie zu beschimpfen!“ Weiter ist deutlich zu hören, wie die Betroffenen rufen: „Scheiß Nazis!“ und „Nazis raus!“ Aus etwas Entfernung ist in sehr aggressivem Ton von den Angreifern zu hören: „Komme ran! Hurensohn.“ und „Du Mutterficker.“

Im zweiten Video ist von Seiten der Angreifer zu hören: „Mach das Handy aus!“ Zu erkennen ist der Angeklagte Christian K., welcher im Beisein der Polizei aggressiv auf den Filmenden zukommt. Am Ende des Videos skandieren die Täter im Beisein der Polizei: „Frei, sozial und national.“

Anschließend versucht vor allem die Verteidigung von Sven We. Zweifel zu sähen. Immer wieder fragen die Verteidiger, was denn Dieses oder Jenes heißen würde und versuchen Äußerungen der Angreifer den Betroffenen in den Mund zu legen. Der Senat, die Nebenklage und der Zeuge weisen die Verteidiger*innen mehrfach darauf hin, dass jene Äußerung auf deutsch getätigt wurden – und zwar von den Angreifern. Sie bedürfen keiner Übersetzung.

Nächster Zeuge ist der Polizeihauptmeister (PHM) Georg G., der bei der ersten Vernehmung des Beschuldigten Sven We. am 15. September 2018 zugegen war. Sven We. habe damals angegeben nur mit ein paar Bekannten „zur Tanke“ zu wollen, um ein Bier zu trinken. Die Auseinandersetzung auf der Insel habe der Beschuldigte nur von weitem wahrgenommen, erinnert sich der Beamte an die Aussage des Angeklagten. Mehr kann der Beamte nicht berichten.

Nachdem einige Chat- und Anrufprotokolle verlesen wurde, beginnt die Vernehmung von Kriminalhauptkommissar (KHK) Jens B. Dieser soll über Vernehmung des Tim Sch. berichten, da dieser von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch macht. Tim Sch. habe bei seiner Vernehmung am 15. September 2018 angegeben, dass er bisher bei jeder Demonstration von „Pro Chemnitz“ dabei gewesen sei – auch am 14. September 2018. Er und seine Begleiter hätten nach der Demonstration noch Zeit gehabt, bis der Zug zurück nach Wittgensdorf gefahren sei. Diese Zeit habe man sich am Schlossteich vertreiben wollen. Als es zum Angriff auf der Schlossteichinsel gekommen sei, hätten Tim Sch, und seine Begleiter auf einer Bank gesessen, allerdings nicht auf der Insel selbst. Er habe Gebrüll gehört und sei Nachsehen gegangen. Aufgrund der Distanz zum Geschehen und der Dunkelheit habe er nichts gesehen. Dann sei auch schon die Polizei gekommen. Weggerannt sei er, weil er „Schiss vor der Polizei gehabt hätte.“ Weiter habe Tim Sch. ausgesagt, dass er von den Beschuldigten keinen kenne, einige nur vom Sehen. Allerdings habe Tim Sch. bei seiner Vernehmung auch angegeben, dass er „Walle“ (der Beschuldigte Marcel Wa., Anm. d. Red.) am Tag des „Probelaufs“ seine Telefonnumer gegeben habe.

Nächste Zeugin ist Kriminalhauptkommissarin K., die bei der zweiten Vernehmung des Tim Sch. am 16. Mai 2019 zugegen war. Im Gegensatz zu seiner ersten Vernehmung habe Tim Sch. diesmal ausgesagt, dass er schon auf dem Weg zur Demonstration „die andere Gruppe“ getroffen habe, in welcher er seinen Bekannten, Christian F., erkannte. „Der mit dem Scheitel“ habe dann vorgeschlagen gemeinsam zur Demonstration zu gehen. Danach sei man dann gemeinsam zur Schlossteichinsel. Tim Sch. gab an, dass sie nicht wussten was passieren solle, er sei aber mit auf die Insel gegangen. Auf die Frage, wie groß die Gruppe war, in der er sich befand, habe Tim Sch. geantwortet: „20 bis 25“. KHK K. erklärt, dass Tim Sch. dann mit einem Kumpel „stiften gegangen“ sei, da es ihm nicht gefallen habe, dass aus der Gruppe heraus „die Hand gegen eine Frau erhoben“ worden sei. Der Senat fragte, ob Tim Sch. dies so gesagt habe oder die Zeugin dies so interpretiere. Denn auf Vorhalt des Richters liest sich der Ablauf anders. So seien Tim Sch. und sein Kumpel „stiften gegangen“ als die Polizei eingetroffen sei. KHK K. sagt, Tim Sch. sei damals gefragt worden, ob er noch andere außer Christian F. und „Walle“ kenne. Dies habe er verneint. Daraufhin sei ihm vorgehalten worden, dass auch die Namen der Angeklagten Martin He., Sten E. und Maximillian We. auf seinem Handy gefunden wurden. Tim Sch. habe erwidert, dass er nicht wisse, wie diese Namen in sein Telefon gekommen seien. Er wisse aber nicht mehr, ob er sein Telefon dem „Walle“ gegeben und dieser die Nummern eingespeichert habe. Die Generalbundesanwaltschaft (GBA) fragt nach, ob Beamtin nach einem Rucksack gefragt habe. Sie vereint und wird unvereidigt entlassen.

Zum Ende des Verhandlungstages legt die Verteidigung des Christopher Wei. einen Widerspruch gegen das Selbstlesekonvolut ein. Die Inhalte könnten auch für Presse und Öffentlichkeit interessant sein, somit solle öffentlich verhandelt werden. Der Angeklagte Christian K. etwa habe im Zusammenhang mit betrügerischen Straftaten schon 2013 und 2014 den Begriff „Revolution“ genutzt. Die GBA räumt ein, dass dies von Relevanz sei, aber nicht das Plenum, sondern der Senat darüber zu entscheiden habe.

Zum Schluss des Verhandlungstages versucht die Verteidigung des Sven We. noch einmal auf die gezeigten Videos und die Aussagen des Sachverständigen M. zu kommen. Laut RA Röthig geben die Verschriftlichungen des LKA andere Äußerungen wieder und würden so den Aussagen des Zeugen M. widersprechen. Die Nebenklage erwidert, leicht genervt, dass das LKA nur die deutschsprachigen Äußerungen der Angreifer verschriftlicht habe. Deswegen sei der Sachverständige heute zu Rate gezogen wurden.